Almricher Pfingstbräuche um 1876
Der Mai beschert uns mit seinem Pfingstfest. Die
Pfingstbräuche sind sämtlich Rest des altgermanischen Frühlingfestes, an dem man
den Sieg des Sommers und der Sonne über den Winter, das Überwinden des Donar
(Thor) über die finsteren Winter-Dämonen feierte. Das taten die Germanen bei
ihrem Frühlingsfeste, das unter fröhlichem Beisammensein und freudigem
Reigentanze auf dem geschmückten Dorfplatz gefeiert wurde und sich bis in unsere
Zeit in den Pfingsttänzen erhalten hat, die aber von Jahr zu Jahr an ihrer
Ursprünglichkeit und Volkstümlichkeit verloren hat. Vielmehr ist heute der
Kommerz in den Vordergrund gerückt. Man sieht das auch ganz deutlich bei der
Pfingstweinmeile.
Almrich war früher eine selbstständige Gemeinde auch dort wurde zu Pfingsten
ganz groß gefeiert. Aus den Kindheitserinnerungen von Karl Müller ist dieser
alte Pfingstbrauch festgehalten und somit für die Nachwelt erhalten geblieben.
Wir wollen nun sehen, was er uns berichtet aus dieser Zeit und welche
Pfingstbräuche üblich waren.
Kindheitserinnerungen von Karl Müller
Eine Woche vor Pfingsten schon wurde die größere und ganz kleine
Jugend des Abends durch das Hämmern und Sägen, Bretter – und Balkentragen der
Pfingstburschen zur Neugier angelockt. Unter der jahrhundertealten Linde wurde
das Gerüst zu einem Musikpodium (nach Osten Gelegen) sowie ein anderes für ein
Zelt (westlich) im Laufe der Woche aufgerichtet.
Eine Tanzfläche wurde rings um die Linde mittels Bohlen festgenagelt. Heute ist
dies nicht mehr möglich, da der Neubau der Linde, „Gasthof zur Linde“, im Jahre
1884 die Tanzfläche zur Hälfte verschlang und von da an die Pfingsttänze im Saal
abgehalten wurden. Am Pfingstheiligabend wurden nun von den Burschen zunächst
der Linde, sodann dem Gemeindevorsteher G. Matthes eine Maie gesetzt. Dies
erfolgte in Bekleidung einer Musikkapelle, die zum größten Teil aus Musikern des
Ortes bestand. Das Maiensetzen erstreckte sich dann, wie auch noch heute, durch
den ganzen Ort, Der so auf
diese Art beehrte Hauswirt bekam ein Hoch auf sich und
seine Familie und ein kleines Ständchen.
Ein älterer Bursche hatte das Schankamt, er trug eine blaue Schürze und ging in
Hemdsärmeln, am Westenkragen hatte er ein buntes Taschentuch rückwärts
herunterhängen.
Die mit einer Maie beehrte Familie hatte die Pflicht, den Pfingstburschen einen
Taler zu spendieren. Der Schankbursche reichte den Familienangehörigen aus einer
neuen Blechgießkanne, in Gläser gefüllt, das damals übliche Braunbier.
Nach Beendigung des Maiensetzens ging es zur Linde zurück, um noch in einer
kleinen Feier unter Beisein der jungen Mädchen den Abend ausklingen zu lassen.
Es soll auch vorgekommen sein, dass lose Buben gewissen
Mädchen sogenannte „Samenmaien“ heimlich und leise vor das Haus setzten. Dies
sollte so viel sagen, dass dem betreffenden Mädchen in Kürzen der Klapperstorch
ins Haus kommen möge.
Am ersten Pfingstfeiertage wurde nun von allen fleißig an der erst im Gerippe
dastehenden Pfingstlaube sowie am Musikpodium gearbeitet. Es wurde alles schön
dick mit frischen Buchengrün bekleidet.
In dem nach Süden gelegenen Berg war das Backhaus der Linde eingebaut, und
hinein führte ein kurzer Gang. In diesen wurde ein Gerüst gezimmert, auf welches
eine große Tonne Braunbier gehoben wurde, um von da aus verzapft zu werden.
Am zweiten Pfingstfeiertage pünktlich um 3 Uhr traten sämtliche Burschen vor der
Linde an, vorweg die Musik, hinter ihr der Schankbursche in der schon
beschriebenen Tracht; ihm folgte der Tannenträger. Die Tanne selbst war mit
bunten Taschentüchern geschmückt, welche die Mädchen zu diesem Zwecke schenken
mussten. Die Tannenspitze war mit einem Blumenstrauß geziert. Hinter dem
Tannenträger stolzierten die Burschen im Marsch nach einem Haus, in dem die
Pfingstmädchen versammelt waren und auf die Burschen warteten.
Dies nannte man „bei ihr aufziehen“. Auf dem Marsch durch das Dorf wurde durch
lautes Juchzen der Burschen der Pfingstfreude und Stimmung Ausdruck gegeben. Im
betreffenden Gehöft angekommen, wurden Burschen und Musiker reichlich mit Kuchen
und Wein, alles war ja reichlich vorhanden, bewirtet. Nun ging der durch die
Mädchen verstärkte Zug nach dem Festplatze zurück.
Alle Burschen und Mädchen,. die am Pfingsttanze beteiligt waren, trugen ein
Abzeichen. Unter der Linde angekommen, wurde die Tanne zwischen den gewaltigen
Ästen der alten Linde befestigt und beim Tanz der Pärchen wedelten die bunten
Tücher zu Häupten der lustigen Jugend.
Beim 3. Tanzstück traten auf ein Trompetenzeichen zahlreiche Pärchen im Kreise
auf, meist jedes Mädchen mit seinem Liebsten. Der Bursche erhob seine Stimme und
sagte: „Meine Tanzjungfer soll leben, vivat hoch!“. So ging es dann der Reihe
nach, bis alle ihre Pfingstpflicht ihren Mädchen gegenüber erfüllt hatten. Jeder
andere musste aber zur Stärkung der Kasse eine Spende von 25 Pfennigen
entrichten.
Wer nun sonst an dem Fest teilnehmen wollte, musste am Aufstieg zum Tanzplatz 30
Pfennige entrichten; dafür bekam er nun ein buntes Bändchen, welches dazu
berechtigte, so viel Braunbier zu zapfen, bis sein Durst gestillt war. Mädchen
und Frauen verstanden es, den Trunk durch mitgebrachte Beigaben, wie kleine
Rosinen und Zucker, schmackhaft zu machen. Auch hatten sich am Lokal in der Nähe
eines riesigen Sandsteinbrunnens Zuckerwarenhändler aufgestellt, welche Rosinen
usw. feilboten. Diese Verkäufer waren damals allerdings noch nicht auf solche
lukullischen Sachen, wie Pralinen u.a. eingestellt. Man sah auf solchem Tisch
nur wenig Auswahl: Malzbonbons, Zuckerstengel, Mandelhummeln, Pfefferminze, sog.
Figuren, Papierstangen, in welche ein erbsenartiges Mehlgebäck gefüllt war. Aber
all dies war damals für mich armes Kind unerschwinglich, denn der seinerzeit
noch im Umlauf befindliche „Kupferdreier“ musste für beide Tage ausreichen.
Deshalb war mein und anderer Kinder Begier schon auf etwas anderes gerichtet,
noch ehe der Zuckermann vollkommen ausgepackt hatte. Es waren aus gelbem
Strohpapier bestehende Leckerbissen, starr und steif, etwa 30-35 cm lang. Auf
diesem Papier waren wohl nach heutigen Begriffen in primitiver Weise Bonbons
aufgetrocknet; ein Produkt, welches heute absolut nicht mehr möglich wäre, weil
sich das Nahrungsmittel – Untersuchungsamt ins Mittel legen würde, um solche
Sachen als gesundheitsschädlich zu bezeichnen.
Dies mit Zuckerstoff wie gestärkte Strohpapier wurde nun „priemgemäß“ im
Kindermunde ausgesaugt und schließlich einem ja immer in der Nähe befindlichen
Jugendfreund gegen die Backe oder Stirn geblasen, weil dieses Strohpapier dann
eine Art klebrige Kugel wurde.
Es gab aber auch Strohbücklinge in Massen und sie waren ein beliebtes Futter und
zugleich Führer zum Braunbier. Sie sind uns als der einzige in der Neuzeit
gerettete Magenschmaus allein noch treu geblieben.
Braunbier und Zuckerpapier sind vergessen.
Da nun auf dem Pfingstplan das Gelände, wie noch heute, ziemlich glitschig also
durch Quellen feucht gehalten war, gab es oft unliebsame Zwischenfälle, indem
nicht selten ein tanzendes Pärchen feuchtfröhlich in solch einer Quelle lag.
Abends wurde bei spärlicher „Solarölbeleuchtung“ die Tanzbodenfläche falsch
einkalkuliert, oder aber es gingen an einem hochgegangenen Nagel des Tanzbodens
Schwerkraft und Gleichgewicht verloren. Fast alljährlich stellte sich gegen
Abend, entweder am zweiten oder dritten Feiertage, der sogenannte Galoppschuster
ein, ein damaliges Original. Nachdem er sich seiner arg mitgenommenen
Schaftstiefel entledigt hatte, wurde sein Hut mit Päonie oder Pfingstrose
geschmückt. Nun ging es auf den Mühlplatz. Dort brachte der Galoppschuster einen
Dauerlauf zum besten. Als Entgelt durfte er sich dann aus der Braunbiertonne so
viel nehmen, als er vertilgen konnte, bis der ohnehin schon fast schwarz vor
Dreck erscheinende bartstruppige Mann mit vollständig rußgeschwärztem Gesicht
den Heimweg nach Naumburg antrat.
Am dritten Feiertag morgens traten sämtliche Pfingstburschen mit Musik zum
sogenannten „Reihegehen“ an. Alle Burschen, außer dem gewählten Vorstand,
mussten sich verkleiden und so maskiert erscheinen. Niemals aber fehlte der
Bärenführer mit seinem Bär. Der Bär war wie üblich aus Erbsenstroh hergerichtet,
d.h. ein Bursche wurde buchstäblich von unten bis oben in Erbsenstroh
eingebunden und so an einer Kette durchs Dorf geführt. Damit der Bär seinen
Durst löschen konnte, wurde er mittels eines Gummischlauches aus dem
mitgeführten Bierglas getränkt. Einer der Burschen trug den Eierkorb, ein
anderer die Wurststange, an welcher die Schlachtewaren befestigt wurden.
Auch hier beim Reihegehen wiederholten sich Haus für Haus die für die
verabreichten Gaben üblichen „Hochs“ und „Ständchen“. Da damals der Ort noch
verhältnismäßig klein war, konnte man schon um die Mittagszeit wieder im
Festlokal sein. Hier hatten nun die jungen Mädchen einen großen Teil der
gesammelten Eier und Würste mit Speck zubereitet und mit einer gewaltigen Menge
Kartoffelsalat auf lagen Tafeln angerichtet. Nun folgte ein gemeinsames
Mittagsmahl. Aber schon Schlag 3 Uhr wurde wieder aufgezogen und die
versammelten Mädchen heute aber aus einer anderen Behausung, wurden unter
derselben Bewirtung abgeholt und zum Tanzboden gebracht.
Zu Kleinpfingsten gehörte der Tag der Mädchen, also sogenannten Mädchentanz,
wobei eben nur für den ganzen Tag die Mädchen sich ihre Tänzer wählen durften
und auch ihre Kasse für sich machten. Auch hier wurde aufziehend in bekannter
Weise der Tag eingeleitet. Abends 6 Uhr trat eine Tanzpause ein. In dieser
wurden die an der Tanne befestigten Taschentücher in einer sogenannten
amerikanischen Auktion meistbietend versteigert. Da nun, wie schon bemerkt, die
Tücher von den Mädchen gestiftet waren, entstand oft ein heftiges Feilschen,
denn man hatte ja während der drei Feiertage Gelegenheit genug gehabt, zu
erfahren, von welcher Schönen die einzelnen Tücher gestiftet worden waren. So
traten sich dann gar oft eifersüchtig bietende Rivalen um solch Kleinod, keine
Münze scheuend, gegenüber, bis sich bei dem Ausbieter oftmals
Zungenlähmungserscheinungen einzustellen drohten. Waren die Tücher ausverkauft,
kam die Gießkanne an die Reihe. Zuletzt aber das höchste Wertstück des Festes,
die Tanne selbst. Der Ersteher wurde mit Musik und seiner Tanne von der ganzen
Pfingstgesellschaft in sein Vaterhaus geleitet.
Letzteres sollte wohl den eigentlichen Abschluss des Pfingstfestes bilden. Aber
es war manchmal ein Überschuss zu teilen, oft auch ein Defizit zu begleichen,
was ein nochmaliges Zusammentreffen der Pfingstgesellschaft nötig machte. Denn
Musik, Maien und Buchengrün sowie Tanne und was sonst zum Feste nötig war,
besonders der Tanzplan, kostete auch schon damals Geld und mussten bezahlt
werden.
Unsere damaligen Pfingstmusiker waren gewöhnlich
folgende:
Landwirt Ernst Brembach – Trompete; Arbeiter Karl Heimbold – Klarinette;
Zimmermann Gustav Kramer – Trompete; Viehkastrator Fritz Kaufmann – Tuba;
Winzer Fritz Schwabe – Tuba; der Müschel, Menzel aus Naumburg – Tenorhorn;
Winzer Berhard Beck – Trompete; Winzer Fritz Beck – Flügelhorn;
der junge Karl Heimbold – Pauke; Ede Schlimm - Becken.