Nicht nur Spiel und ungezügelte Freiheit sondern auch
        „ Hunger plagte , Durst tat weh …“ wie im Kirschfestlied, prägte unser späteres Leben .

Nach Kriegsende, als die letzte Butter verbraucht war ,die wir uns noch als letzte Zuteilung in der Milchhalle im „ Adler „ geholt hatten, fingen für uns Kinder auch die Hungerjahre an. Unsere Mütter, die jungen Witwen, fuhren mit den Kleidungsstücken Ihrer gefallenen Männer nach Mecklenburg, zu den Bauern und tauschten die gebrauchten Sachen gegen Naturalien, um mit Ihren Kindern überleben zu können. In dieser Zeit habe ich erfahren, was Hunger ist. Ich habe aber auch erfahren, wie diese skrupellosen Menschen mit der Not der Anderen, Geschäfte gemacht haben. Tagelang war meine Mutter unterwegs und kam mit wenig Essbaren zurück. Wir wurden wieder zu Selbstversorgern. Jedes noch so kleines Ackerstück wurde umgegraben, um etwas Essbares anzubauen.“ Gläsers Garten“, ein brachliegender Garten am Pfortenwaldrand, wurde in kleine Parzellen aufgeteilt und an die Almricher als Gartenland vergeben. Heute, hat die Natur dieses Stück Land wieder zurückerobert. Kartoffeln stoppeln, Ähren lesen, Zuckerrüben stoppeln und die Köpfe von den Rübenblättern abschneiden, gehörte zu unseren neuen „Spielen“. Kaninchen züchten, überhaupt, die Kleintierzucht hatte Hochkonjunktur. Diese Tiere brauchten aber auch Futter. Sie wuchsen ja nicht von allein. Also mussten wir auch Futter besorgen. Das eigene Stück Wiese hinter dem Haus, war bald abgeerntet. Jeder kleine Straßenrand wurde abgemäht. Da brauchte man keine ABM- Kräfte. In den Schulferien war „ Ferien auf den Bauernhof „ einer anderen Art, angesagt. Da wurde fleißig gearbeitet! Wir waren 4 Jungen fast gleichen Alters, die nach Möllern zu einem Bauern gingen, um für Naturalien zu arbeiten  Ich will sie mal an dieser Stelle nennen, Sie leben alle noch. In Hanau, Ludwigshafen und in Holzgerlingen haben sie sich als Republikflüchtige  niedergelassen und leben in guten Verhältnissen. Aus ihnen Allen ist etwas Anständiges geworden, wie man so sagt. Sie besuchen auch heute noch regelmäßig die Klassentreffen und können alles was bisher beschrieben wurde, bestätigen .“Mäkke“ das ist Albrecht, der“ Fette“ das ist Rolf ,  der „Bibber“ das ist Gerd und ich der „Lockenstritz“ oder manche nannten mich auch „Guste“. Unsere Väter waren entweder gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft. Jetzt waren wir die Ernährer! Wir wurden über den Ställen auf dem Heuboden untergebracht und schliefen natürlich auf, mit Stroh gefüllten Säcken. Wir fühlten uns dabei gar nicht schlecht. Die Magd oder das Dienstmädchen, ein hübsches Mädchen ,etwas älter als wir, brachte uns noch karierte Bettwäsche. Sie war sehr nett ,so nett, dass ich mich in sie verknallte und eifersüchtig auf den Knecht wurde, der immer um sie rumschwenzelte. Sie war es dann auch, die mich in die ersten süßen Geheimnisse der Liebe einweihte. Gern und mit stillen schmunzeln, erinnere ich mich an diese schönen Erlebnisse zurück. Es war trotz aller Not ,einfach herrlich! Sonntags trafen wir uns im Schenkenholz und verbrachten den Tag zwischen wilden Himbeeren  unter Buchen und knapperten Bucheckern, schauten in den Himmel und träumten. Manche Jahre gab es so viele Eckern, dass wir sie sammelten und in den Ölmühlen zu Speiseöl verarbeiten ließen. Das Öl tauschten wir gegen andere Sachen, meistens anderem Essbaren .Aber auch Fahrradzubehör wurde solange getauscht, bis wir ein Fahrrad zusammenbauen konnten. Doch zurück ,in die „Ferien auf dem Bauernhof“. Der Tag begann früh nach Sonnenaufgang mit gemeinsamen Frühstück.  Es gab Quarkstulle mit Pflaumenmus und ein Glas Milch, selten Wurststulle.  Danach wurde gefüttert oder mit dem Ochsengespann Futter geholt. Das war entweder Gras oder Klee, manchmal auch Luzerne oder Runkeln. Die Schweine bekamen gequetschte Kartoffeln, die vorher in der Kartoffeldämpe gedämpft wurden, mit Schrot oder Kleie und Wasser vermischt. Zur Getreideernte holten wir mit dem Ochsenfuhrwerk das Getreide ein und panzten es auf den Scheunenboden, denn es wurde erst im Winter gedroschen. Mähdrescher oder Vollernter kamen erst später in Mode. Einmal passierte mir in der Hofeinfahrt ein Malheur. Ich kippte die Getreidefuhre in der schrägen Einfahrt gegen den Pfeiler. Die Einfahrt lag gleich neben dem Dorfteich und es ging eng zu. Es ging nicht vorwärts und nicht rückwärts. Erst  als mehrere Männer mit Mistgabeln die Fuhre wieder aufrichteten, konnte ich mit den störrischen Ochsen weiterfahren. Es war für einen Jungen mit 14 Jahren nicht einfach, mit diesen Viechern richtig umzugehen. Im ersten Jahr, bekamen wir noch fast regelmäßig unseren Lohn in Form von Naturalien.
Das nächste Jahr, war der Bauer selten auf dem Hof. Er hatte Besseres zu tun. Er fuhr in die Stadt und verspielte Haus uns Hof mit liederlichen Frauen. Heute stehen auf dem Grund und Boden mehrere kleine Eigenheime. Wir warteten vergebens auf unseren Lohn, also mussten wir uns, auf anraten des Dienstmädchens, selbst entlohnen. Von da ab mussten die Hühner, Enten, Kaninchen ,Eier und auch Gänse oder alle Arten von Feldfrüchten, daran glauben. Wir hatten unseren eigenen Stil von „ Ferien auf dem Bauernhof“ und Entlohnung gefunden. Eigentlich ist mir der Bauer heute noch 6 Zentner Kartoffeln schuldig.
In der übrigen Zeit, wenn keine Ferien waren, mussten wir auch für genügend Feuerungsmaterial für den Winter sorgen. Gas zum Kochen war zwar schon verlegt, aber eine Heizung gab es nicht. Das Bad wurde einmal in der Woche durch die Zinkwanne ersetzt. Das heiße Wasser wurde im Einkochapparat und in der „ Blase“ erhitzt. Die Blase war ein eingebauter Behälter im Küchenherd, der ständig heißes Wasser lieferte, solange Feuer brannte. Das nötige Holz holten wir aus dem Pfortenholz. Nachdem das trockene Holz aufgesammelt war .sägten wir, was wir sägen konnten auf Vorrat für das nächste Jahr. Eines Tages verjagte uns der Förster, da sägten wir einfach die Zaunsäulen von „Hessen Annas“  eingezäunten Feld um, und schafften es nach Hause. Da wir beobachtet wurden , mussten wir sie später wieder ersetzen .Aber von was? Natürlich aus dem Wald. Wir hatten uns die Säulen ja nur „geborgt“!  „ Kohlenklau“ war auch so ein knochenharter Volkssport. Der fand auf den Kohlenzügen des Naumburger Rangierbahnhofes statt, nachdem die Tender der ausrangierten Loks auf dem Güterbahnhof von uns leergeräumt waren. Jeden Abend ereignete sich folgendes Ritual: Gegen 18 Uhr fuhren die Leunaarbeiter in den Bahnhof ein und stürmten die Kohlenzüge. Die Bahnpolizei hatte für diese Zeit das Feld geräumt. Sie hatten keine Chance, wollten sie nicht Gefahr laufen ,verprügelt zu werden. Diesen Moment nutzten die Jugendlichen und die Frauen, um von der Blütengrundseite, ebenfalls auf die Kohlenzüge zu klettern, und füllten Ihre Taschen und Rucksäcke. All das geschah bei vollen Rangierbetrieb, eine gefährliche Angelegenheit. Die Kohlen im Rucksack nach Almrich zu schleppen, war die nächste Schinderei. Wir waren ja noch halbe Kinder. Die heutige Generation wird es und kann es nicht begreifen, sind sie doch unter ganz anderen Umständen aufgewachsen. Vielleicht denkt der eine oder andere doch mal darüber nach, wenn er vor seinem Computer sitzt.


                                                                                                                                                                      
H.R.