Heimat – Jugendzeit   3.Teil
                                                       
Erlebt und geschrieben von Gert Scharfe


Der dritte Teil meiner Erinnerungen umfasst die Zeit von Ende der 40er Jahre bis ca.1956. Er ist wieder in die chronologisch richtige Reihenfolge, und der besseren Übersicht halber in einzelne Kapitel unterteilt. Jetzt bin ich auch ein wenig stolz darauf, dass ich mich überwunden habe, einen kleinen Beitrag zu unserer Homepage zu leisten. Inzwischen habe ich sogar Freude am Schreiben gefunden und hoffe, dass mir so bald der Stoff nicht ausgeht.


                                            Unfall vor der Almricher Kirche.


Es war wohl Ostern 1949, als wir, der Jahrgang 1935, vor der Kirche auf die Konfirmanden des 34er Jahrgangs warteten, die drin das Abendmahl erhielten. Mein Schulkamerad Ulrich B., er war ein ganzes Stück größer und schwerer als ich, stellte sich mit seinem Rücken gegen meinen, fasste mit beiden Händen nach hinten unter mein Kinn und zog mich hoch auf seinen Rücken. Er muss mir die Luft abgeschnitten haben, denn ich war bewusstlos, als er mich losließ und knallte mit dem Kinn auf das Straßenpflaster. Nach etwa zwanzig Minuten kam ich wieder zu mir, es war sozusagen ein klassischer k.o., und wurde dann nach Naumburg ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde die Wunde am Kinn versorgt und genäht. Weitere Folgen: Drei zersplitterte Zähne, so ziemlich die einzigen die mir bis heute fehlen, und eine Kiefersperre, die wochenlang anhielt, d.h. ich konnte nichts Festes essen, sowie die bis heute sichtbare Narbe am Kinn. Ulrich, seine Eltern waren ja Bauern, brachte mir bis zum Winter jeden Tag einen Liter Milch und die erste Zeit auch Eier.



                                   1.  
Deutschlandtreffen der jungen Pioniere.
                                                                                                             


Nachdem endlich das  Ende der Schulzeit in Sicht kam, wurde ich noch von der Schule zum Deutschlandtreffen delegiert. Irgendwo hat auch mal ein Foto existiert, das mich in kurzen Hosen und einer sicherlich roten Fahne in der Hand bei der Verabschiedung am Naumburger Bahnhof zeigt. Transportiert wurden wir in Güterwaggons. Das Treffen fand ab 24. Mai 1950 in der Berliner Wuhlheide statt und bis auf das großartige Abschlussfeuerwerk habe ich kaum noch Erinnerung daran. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht gesehen.



                                                     Die Berufsausbildung.


Im Herbst 1950 begann ich eine Ausbildung als Maschinenschlosser in den WEMA-Werken, vormals Fa. Gehring, am Naumburger Ostbahnhof. Im Laufe meines weiteren Berufslebens musste ich öfter feststellen, dass die fachliche Ausbildung dort sehr gut war, die politische dagegen hat mir weniger gut gefallen, aber diese Art der Ausbildung war wohl dem Geist der neuen Zeit zuzuschreiben.



                                 2.  
Weltfestspiele der Jugend und Studenten.
                                                  
                                                   


Gegen Ende des ersten Lehrjahres wurde ich mit mehreren Kollegen zu den Weltfestspielen in Berlin delegiert. Diesmal wurde in 3.Klasse-Waggons der Reichsbahn schon sehr viel komfortabler  an- und abgereist, so konnte man wenigstens im Gepäcknetz schlafen. Die Eröffnungsfeier war am 5. August 1951 im Walter-Ulbricht-Stadion im Ostberliner Stadtteil Mitte und die Spiele dauerten  vierzehn Tage. Es war ein riesiger Auftrieb von Demonstrationen mit vorwiegend roten Fahnen und Transparenten, sowie viel politischer Prominenz, und diente sicher auch der internationalen Aufwertung der DDR. Die Teilnehmerzahl: Etwa 26.000 Jugendliche aus 104 Ländern. Meine Kollegen und ich waren oben auf dem Boden einer Schule in Berlin-Lichterfelde untergebracht und bekamen bei der Ankunft jeder ein Kommissbrot und eine Dauerwurst als Verpflegung. An den Demonstrationen waren wir weniger interessiert als vielmehr an Fahrten nach Westberlin. Die waren damals z.B. mit der S-Bahn noch ohne weiteres möglich, nur FDJ-ler in Uniform wurden oft von der Volkspolizei aus den Zügen geholt. In Westberlin konnte man dann für 10 Ostpfennige amerikanische Westernfilme sehen und große Märkte besuchen, auf denen riesige Mengen Südfrüchte angeboten wurden, die wir nur teilweise dem Namen nach kannten. Der Geruch der Früchte und z.B. von Manchesterhosen war für uns eine neue Erfahrung und der steckt  mir heute noch in der Nase. Geld, um etwas zu kaufen, hatten wir ja kaum, denn der Umtauschkurs war ungefähr 5 Ostmark für eine Westmark.



                                           Die Zeit nach der Berufsausbildung.


Nach der Ausbildung wurde ich bei der WEMA entlassen, aber zusammen mit meinem Freund und Kollegen Manfred B. an die WMW-Weißenfels in der Naumburger Straße vermittelt. Dort haben wir im Akkord als Spitzendreher gearbeitet und z.B. Laufräder für Panzer gedreht. In diese Zeit fiel auch der Aufstand vom 17. Juni 1951. Ich hatte an dem Tag Spätschicht und machte mich nach Schichtende auf den Weg zum Bahnhof. Dort verweigerte mir ein aufgeregter Mongole mit der Kalaschnikoff im Anschlag den Zutritt. Erst als ich verlangt hatte, dass er seinen Vorgesetzten herrief und ich einen Passierschein meiner Firma vorweisen konnte, durfte ich nach Hause fahren. Der Parteisekretär in der Firma hat meinen Freund und mich ständig bedrängt in die NVA einzutreten. Als wir immer wieder ablehnten, sagte er, ob wir Angst um unser Dreigroschenleben hätten. 1954 schließlich haben wir beide dort gekündigt und bei der Firma Industriemontagen Leipzig angefangen. Nach einiger Zeit in den Sodawerken Bernburg, wo ich auch das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft in Bern im Radio hören konnte, bin ich in den Bunawerken in Zschopau bei Merseburg gelandet.
Dort habe ich dann als Rohrleger und Autogenschweißer gearbeitet und auch die schlimmste Zeit meines Arbeitslebens gehabt.
Karbidofenumbau! In Tag- und Nachtschicht, unter unvorstellbaren Bedingungen. Die Nachbaröfen waren ja noch in Betrieb und das Ganze mitten im Sommer. Die Hitze und der schreckliche Karbidstaub, der kaum Sicht zuließ, die Atemwege ständig reizte und an den Hand- und Fußgelenken, wo die Bündchen des Schutzanzuges auf der schweißnassen Haut lagen, tiefe Löcher fraß. Die Strapazen konnten auch durch noch so viel Zulagen und kostenloser Zuteilung von Milch und Tee nicht aufgewogen werden.


                           Motorradfahrten nach Berlin und Westdeutschland.


Mein Schulfreund Dieter G. hatte eine 250er AWO*. Das war ein in Eisenach nachgebautes BMW-Motorrad, das statt dem blau-weißen, ein rot-weißes Emblem auf dem Tank, sowie einen Soziussitz hatte. Auf der Maschine fuhren wir 1955 nach Westberlin, wo ich mir ein Paar damals hochmoderne Lederschuhe mit dicken Kreppsohlen und dazu ein Paar gelb-braune Ringelsocken kaufte. Ein Jahr später waren wir dann in Westdeutschland unterwegs, wo wir in Coburg, Stuttgart, Heidelberg, Köln und Hannover in der Reihenfolge jeweils in Jugendherbergen Station machten. Es war eine sehr schöne Reise, an die ich heute noch oft denke. Aufgefallen ist mir damals, dass in Köln, wie anschließend auch im Ruhrgebiet noch viele Kriegsschäden und Brandruinen zu sehen waren und alles ganz schwarz und verrußt war.


* Für Technik-Interessierte: Es handelt sich um die Touren-AWO 425, wobei die 4 für Viertakt und die 25 für 250 ccm steht. Die Maschine hatte 12 PS und Viergang-Getriebe mit Kardan. Sie wurde im Volksmund wegen ihres kernigen Motorgeräusches auch „Dampfhammer“ genannt. Es war wohl ein Nachbau der BMW R25/3 von 1953.


                                                                                                      
                         GS                    28. März. 2009