Ausreise und Neubeginn

Wie in jeder Diktatur, so reichte auch in der DDR wenig, um von Jugend an un-bequem aufzufallen. Eine eigene Meinung und unangepasstes Verhalten genügten, und man bekam bereits in der Schule Schwierigkeiten. So durfte ich beispielsweise trotz ausreichender Noten nicht die Erweiterte Oberschule (heute Gymnasium) besuchen, da mir nach Einschätzung des Schuldirektors die „sozialistische Reife“ dazu fehlte. Das Abitur machte ich später in der Abendschule nach.
Man musste auch nicht unbedingt engagierten Mut beweisen und konnte dennoch in den paranoiden Vorstellungen der beflissenen Staatsschützer aus lächerlichen Gründen als „Gefahr für die Republik“ erscheinen. So waren es wohl meine zahlreichen Briefverbindungen zu Jugendlichen in der Bundesrepublik, mit denen ich der Staatsmacht
  erstmals auffiel. Und damit stand ich von Jugend an bis zur Ausreise 1984 im Interessenfeld dieser Herren.
1993 konnten meine Frau und ich Einsicht in unsere Stasiakten nehmen. Über 800 Seiten MfS-Berichte und Bespitzelungen. Allein ein paar harmlose, ganz banale Beispiele von Post-, Personen- und Telefonüberwachung über zwei Jahrzehnte sollen im Anhang zeigen, wie allgegenwärtig der perfide Überwachungsstaat mit seinen eifrigen Schergen immer und überall war.
Trotzdem hatte ich noch Glück und konnte in Dresden Kunst studieren; war seitdem zusammen mit meiner Frau immer freiberuflich tätig. Und obwohl wir nie bereit waren, politische Hurrabilder zu malen, haben wir als Künstler zwar bescheiden, aber guten Gewissens existieren können und hatten unsere beruflichen Erfolge. Aber immer wieder tauchte in Abständen in unserer DDR-Zeit die Stasi auf, wollte uns zur Mitarbeit zwingen und schließlich mit einem verbrecherischen Plan erpressen, wie uns später aus den Akten ersichtlich wurde.
All dies hier zu schildern, wäre
  kompliziert und zu umfangreich. Fest steht jedenfalls, dass wir intuitiv und noch rechtzeitig den schon lang geplanten Ausreiseantrag (wie üblich mit vielen Wiederholungsanträgen) im Jahre 1982 stellten. Mit Hilfe von Verwandten und Freunden aus der Bundesrepublik und einem persönlichen Engagement aus der Bundesregierung konnten wir schließlich nach vielen Schwierigkeiten und Ängsten im Frühjahr 1984 die DDR verlassen.
Nach einer Nacht im Notaufnahmelager Gießen lebten wir einige Wochen bei Freunden in Münster und bekamen dann dort eine schöne Neubau-Sozialwohnung. Der Anfang war nicht leicht, wie der erste von einigen Zeitungsartikeln über uns damals zeigt (siehe Anhang). Wir bekamen als freiberufliche Künstler keine Arbeitslosenunterstützung, sondern das Minimum an Sozialhilfe. Dies wussten wir aber bereits im Osten und es wäre nie Grund gewesen, in der DDR bleiben zu wollen.
Nach einem halben Jahr verließen wir Münster und zogen nach München, weil uns diese wunderschöne Stadt nach einem Besuch sehr gefiel und wir in Bayern bessere Arbeitsmöglichkeiten für uns sahen. Noch heute wohnen wir gern in München; haben
  von hier aus unser Arbeitsfeld gefunden. München ist uns zur geliebten, zweiten Heimat geworden, in der sich all unsere Hoffnungen auf eine bessere Zukunft nach der DDR erfüllt haben. Ich denke aber auch gern an meine erste Heimat, das schöne Almrich, an die Kindheit und Jugend zurück.

Nachtrag:
Etwa ein knappes Jahr nach unserer Ausreise verbreitete die Stasi auf Versammlungen des DDR-Künstlerverbandes das Gerücht, die Familie Staps hätte es im Westen nicht gepackt und wäre reumütig in die DDR zurückgekehrt. Aus Scham wären wir nicht wieder nach Berlin, sondern jetzt in einem Aufnahmelager in Erfurt. Mutige Kollegen, mit denen wir im Briefkontakt standen, widersprachen dem aber tapfer und sagten, dies könne nicht stimmen, da sie erst kürzlich Post von uns bekommen hätten. Es würde uns gut gehen und wir wären sehr zufrieden.  

Fazit:
Bei aller berechtigten Kritik am Kapitalismus, gerade heute; bei allen Unzulänglichkeiten der Demokratie – der Mensch wird immer nur so gut sein, wie sein Mitgefühl für andere zulässt. Und so lange der Mensch nicht vollkommen ist, wird auch die Demokratie nicht vollkommen sein. Dennoch ist sie bis jetzt die beste Voraussetzung menschlichen Zusammenlebens.
Es gibt aber nicht den geringsten Grund, dem maroden Unrechtsstaat DDR, der nur mit Hilfe eines Heeres von jämmerlichen Lakaien in einem Rahmen aus Stacheldraht, Minen und Schießbefehl existieren konnte; nachzutrauern oder ihn nostalgisch zu verklären.
Die damalige Realität sollte nie vergessen werden!
Und wer sich erinnern möchte, wie allein Naumburg zu DDR-Zeiten aussah, der kann den folgenden Link anklicken.   
      
                                                              http://naumburg-online.de/?load=history/20YearsNMB.html
                                                        


                                                                                                 
Klaus Staps , München  26.10.2009