Dietbert Schmidt
Flucht
Hals über Kopf
Ich wohnte als Halbwaise bei meinen
Großeltern, hatte in einem Privatbetrieb das Kfz-Handwerk erlernt und arbeitete
nach der Flucht meines Arbeitgebers Ende 1952 wieder in
einem Privatbetrieb. Am 27.11.53 diskutierte ich mit Gleichaltrigen in einem
Naumburger
Lokal unter anderen über die schlechte Versorgungslage der Privatbetriebe
gegenüber den volkseigenen Betrieben. Bei uns wurden regelmäßig die
Versorgungsfahrzeuge von Konsum und HO repariert,
wir
bekamen aber kaum die notwendigen Materialien.
In diese Gesprächsrunde mischte sich ein uniformierter Angehöriger der
Kasernierten VOPO ein und die Diskussion eskalierte zum Streit.
Der VOPO bezichtigte mich der Volkverhetzung und
verlangte meinen Personalausweis. Ich verweigerte dies, weil er als
Armeeangehöriger nicht dazu berechtigt war. Dieser Disput führte zu einer
Rempelei und endete in einer Schlägerei, die ich schließlich verließ. Am Tag
darauf erfuhr ich von einem Kunden, der als Fahrer beim Rat des Kreises und der
Stadtpolizei tätig war, dass man die Beteiligten an der Schlägerei mit einem
VOPO suchte. Er ließ
durchblicken, dass
diese mit empfindlichen Strafen zu rechnen hätten.
So entschloss ich mich kurzfristig zum Verlassen der DDR noch in der Nacht des
28.11.1953
Mit dem Zug fuhr ich bis Berlin-Teltow und lief dann stundenlang bis Stadtmitte.
Da ich niemand
kannte und
keinen Stadtplan hatte fragte ich einen alten Mann wo die
Grenze zu Westberlin verlaufe. Dadurch hatte ich mich verdächtig
gemacht, und wurde zu einer Polizeiwache gebracht Dort
wurde ich lange verhört und vor einem Grenzübertritt gewarnt. Aus Erzählungen
wusste ich, dass
sowohl Ostberliner in Westberlin arbeiteten als auch umgekehrt
und
U – und
S - Bahnen in beiden Sektoren verkehrten.
So versuchte ich stundenlang auf diesem Weg zunächst vergeblich eine
Grenzstation zu erreichen.
Bei Dunkelheit erreichte ich schließlich den Bahnhof Friedrichstraße und meldete
mich im Notaufnahmelager Marienfelde. Tage später wurde ich zum Lager
Kladow überstellt und konnte nach vielen Befragungen und
Behördengängen das Abfluglager Berlin - Tempelhof beziehen. Am 18.12.53 wurde
ich nach Hannover geflogen und mit bereitstehenden Bussen in das Lager
Sandbostel bei Bremervörde gebracht. Dort wurde schließlich vom Land
Niedersachsen ein sogenanntes Notaufnahmeverfahren durchgeführt und ich erhielt
die Zuweisung und Fahrkarte nach Barnstorf
Beziehungsweise Bremen.
Dort war nach Umzug aus dem Emsland mein Onkel ansässig
und konnte mich zunächst bei sich aufnehmen. Dort fand ich bald Arbeit und eine
Wohnung.
Meine Flucht habe ich nicht bereut.
D. Schmidt
19.10.2009