Flucht
aus dem „Arbeiter- und Bauernstaat“.
Erinnerungen eines Exil-Almricherrs anlässlich des Tages der Deutschen Einheit.
Es war Anfang 1957, und der Grund, weshalb ich der DDR den Rücken kehrte, war in
diesem Zusammenhang eigentlich eher romantischer Art. Ich meine damit, es gab
für mich damals weder politische noch wirtschaftliche Gründe für die
„Republikflucht“. Sie lebt heute in Bayern, und, kurzum es war wegen eines
Mädchens, an dem ich damals sehr hing. Sie hatte mir im Frühjahr ganz
überraschend und unerwartet ohne Angabe von Gründen mitgeteilt, dass sie
„abhauen“ werde und war also verschwunden. Eigentlich war ich schon öfter in
West-Berlin und einmal auch in Westdeutschland
gewesen, aber bis dahin
sah ich keinen Grund, meine Heimat zu verlassen.
Zu dieser Zeit konnte man noch einigermaßen ungehindert auch in das westliche
Ausland fahren. Die wirtschaftliche Lage war ja damals noch nicht so schlecht
und es wurde uns dauernd anhand diverser Zwei- und Fünfjahrespläne vorgegaukelt
und versprochen, es werde immer besser. Dass dem nicht so war, wurde den Leuten
erst langsam, und von Jahr zu Jahr immer mehr deutlich. Ich hatte einen Beruf
erlernt, hatte Arbeit, lebte noch bei meinen Eltern und war eigentlich bis dahin
mit meiner Situation ganz zufrieden. Ein Kollege sagte mir im Juni, es gäbe mal
wieder „Interzonenpässe“. Das war ein Ersatzausweis, der auf Antrag von der
Stadtverwaltung ausgestellt wurde. Als Grund gab ich dort an, ich wolle eine
„Tante“ in Westdeutschland besuchen.
Als Holzknecht wollte ich nicht arbeiten, also fuhr ich nach München und ging
auf das Arbeitsamt. Der Sachbearbeiter dort sagte nur wörtlich zu mir: “Jo mei,
die Leut’ kemme daher und suachn a Oarbeit, Minge (München) is a Kunst- stadt,
koa Industriestadt“. Also war das Thema „Bayern“, bis auf das „Madl“, für mich
abgehakt. Ich hatte mich erinnert, dass es im Raum Mannheim viel Industrie gäbe,
also setzte ich mich in München in den Nachtzug und fuhr dorthin. Auf dem
Arbeits- amt in Mannheim gab es auch eine Absage, also bin ich über die
Rheinbrücke nach Ludwigshafen gelaufen und auf dem dortigen Arbeitsamt hat es
dann geklappt.
Mittwoch, 2. September 2009
GS