Geschrieben von Joachim Leonhardt, wir haben bis August 1960 in Almrich in der
Kösener Straße (gegenüber von Bernhard Roth) gewohnt
Die nachfolgenden Zeilen sind aus der Erinnerung heraus geschrieben. Zum
Zeitpunkt der „Republikflucht“ 1960 war ich 13 Jahre (also Jahrgang 1947). Habe
Einiges bewusst und Anderes gar nicht mitgekriegt.
Eine Geschichte vorweg:
Sommer 1954 oder 1955? (damals war, glaube ich, Einschulung Ostern) war ich
erstmals im Westen, in Bremen. Mein Vater und ich hatten einen früheren
Naumburger und Kriegskameraden von ihm besucht. Wir haben nicht nur in der Weser
gebadet, wir waren auch in Bremerhaven, dort wurden auch Südfrüchte ausgeladen.
Nach den Sommerferien wurden wir über unsere Ferienerlebnisse befragt, ich hatte
dann erzählt, dass wir auch in Bremerhaven waren und dort Südfrüchte ausgeladen
wurden. Ergebnis: Meine Eltern wurden in die Schule zitiert, weil dies mit den
Südfrüchten nicht stimmen konnte (passte nicht in die Ideologie der DDR), da in
Bremerhaven bekanntlich nur Rüstungsgüter verschifft wurden.
Bis auf den ideologischen
Kram hatten wir meines Erachtens keine schlechte
Schulzeit. Wer hat nicht vor „Schnurri“ gezittert, hart aber gerecht, so die
Erinnerung. Hähnchen Paul war eine Seele von Mensch. Na ja, es war wie in der
Feuerzangenbowle, alle Lehrerinnen hatten irgendwie ihre Macken.
So nun zum Ereignis der Flucht (mein Bruder, 1986 verstorben, war schon vorher
abgehauen). Meine Eltern hatten damals an Freunde und Bekannte Wäsche und
Sonstiges verteilt. Fotoalben und andere wichtige Papiere wurden auch bei
Freunden deponiert und uns später nachgeschickt.
Unsere Flucht hatte sich um ca. 4 Wochen verschoben, weil ich ganz plötzlich
nach Leipzig in die Uni Augenklinik musste, wir konnten daher nicht mit Uhles
zusammen abhauen. Sonst wären wir vermutlich auch im Badischen gelandet und
nicht in Bremen, wer weiß wie das Leben dann verlaufen wäre.
Mein Vater hatte Fahrkarten nach Rostock gekauft, nach Berlin wäre zu auffällig
gewesen. Die Fahrt ging über Berlin, wo wir ausgestiegen und in die S-Bahn
eingestiegen sind. Immer in der Angst letztlich entdeckt zu werden. In die
S-Bahn nach West-Berlin stiegen dann die Vopos und sahen sich um, wir waren im
Zug verteilt (mein Vater hatte sich etwas von uns weg gesetzt).
Diesen Augenblick der Angst werde ich nicht vergessen.
In Berlin mussten wir uns in Berlin-Marienfelde melden, Erfassung der
Flüchtlinge. Gewohnt haben wir ca. eine Woche bei Verwandten meines Vaters. Dann
ging es weiter per Flugzeug nach Hamburg und von dort aus in die Nähe von
Uelzen. Die Unterbringung
war in einem Zelt, für ca. 50 Menschen. Nach kurzer Zeit hatten wir (meine
Mutter und ich) das Glück in ein Heim in der Nähe wohnen zu dürfen. Das
„Schwedenheim“ für Mutter und Kind wurde vermutlich über eine Schwedische
Stiftung unterhalten (konfessionell ausgerichtet). Der Schulbesuch fand in der
dortigen Dorfschule statt, es gab zwei Klassenräume für 1 – 4 und 5 – 8,
schulisch war ich weiter als die anderen Kinder. Mein Vater ist dann zu dem
Kriegskameraden nach Bremen, wurde gut aufgenommen und hat hier schnell Arbeit
gefunden, allerdings außerhalb des Berufes. Mein Vater hat uns vermutlich nicht
jedes Wochenende besucht, da er Schichtdienst hatte. In diesem Heim haben wir
von September 1960 bis März 1961 gelebt. Danach erfolgt der Umzug nach Bremen in
die Neue Vahr, absolutes Neubaugebiet, die Wohnung war in der 4. Etage. Die
Schule hat mich zuerst nicht besonders gefordert, wir wurden doch gut beschult.
Die Mentalität der West-Kinder war insgesamt nicht so wie im Osten, wir kannten
doch mehr Freundlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft etc. Die Kinder aus dem
Osten waren anders, aber nicht schlechter. Vermutlich war der Arbeiter- und
Bauernstaat damals noch nicht so prägend wie in der späteren Zeit.
Die Lehrer im Westen hatten auch Ihre Ecken und Kanten, von Trollo bis
Spitzenlehrer.
Später habe ich, nach dem Tod
meiner Eltern anlässlich der Haushaltsauflösung,
Unterlagen gefunden über Leistungen des Lastenausgleichsamtes, 1.250,- DM hatten
meine Eltern erhalten. Einige Anschaffungen konnten damit getätigt werden,
ansonsten war alles nur vom Einfachsten.
Fazit:
Die Anfangszeit war schon hart, meine alten Spielkameraden Klaus Staps, Bernhard
Roth, Bärbel Spott und die anderen fehlten mir. Das Herum strolchen in den
Wäldern, Birkenwäldchen, an der kleinen Saale, der Härche, das Schlittenfahren (Härche,
Sachsenholtzstraße, Hauptstraße) im Winter, Bremen hat ja keine Hügel zu bieten.
Das Geld war eher knapp, so dass mancher Wunsch unerfüllt bleiben musste. Dafür
konnte ich die Zeit der Beatles, Rolling Stones etc. vermutlich freier genießen.
Auch wenn es uns heute gut geht, können meine Frau (Bremerin) und ich es heute
noch richtig einschätzen, wenn wir uns das Eine oder Andere leisten.
Trotzdem kann ich meinen Eltern nur dankbar sein, dass sie diesen Schritt
unternommen haben, so habe ich meine Frau und Glück in Bremen gefunden.