Wo vom Dach Werner auf Almrich guckt
Vom
Trittbrett unterm Schornstein auf dem Schrägdach des kleinen Hauses schaut der
Werner auf die Strasse. Werner , jener Anachorocker aus Holstein , Brösels
Comicfigur , die viele kennen und die Almrich , Hauptstrasse Nummer 17 , als 60
Zentimeter grosse Skulptur fröhliche Urständ feiert. Nicht von ungefähr , denn
der Werner ist ein grosser Schrauber und Bastler vor dem Herrn , wie die jungen
Leute , die hier das Sagen haben . Einst war das Gebäude das Almricher
Spritzenhaus der Feuerwehr und vor langer , langer Zeit soll es schon mal
vorgekommen sein , dass der Landjäger einen Vagabunden über die Nacht dort
eingesperrt hat . Schliesslich drohte dem Haus das gleiche Schicksal , wie
seinen benachbarten historischen Gebäude , den einst so stolzen Landgasthöfen
„Zum Bär“ und „Zum goldenen Adler“ , es sollte abgerissen werden . Jürgen Kolb ,
seinerzeit Wehrleiter und Vater eines motorradbegeisterten Sohnes , setzte sich
bei der Stadtverwaltung für Erhalt und neue Nutzung ein .
Anfang 1997
bekam eine kleine Gruppe Naumburger Chopper – Fans den Schlüssel zum Haus , zehn
Jahre später legte sie Geld zusammen und kaufte es . Sie nennen sie BOA , was
glatt von Werner sein könnte , aber Big old Almrich heißt und kein eingetragener
Verein , sondern eine frei Vereinigung ist . Der harte Kern besteht aus fünf
Mann und einer Frau : Heiko , Ralph , Fred , Spatz , Jupp und Antje . Keine
jugendlichen mehr , sondern gestandenes Volk im Alter zwischen 35 und 45 Jahren
und mit unterschiedlichen Berufen :Selbstständiger , Angestellter , Schlosser ,
Trockenbauer , Sekretärin . Was sie vereint ist das Schrauben und fahren , die
Liebe zu den PS – starken Maschinen , ihren „Schüsseln“ . Rockerromantik ist
auch dabei .Auf bestimmte Fabrikate hat man sich nicht festgelegt . Viele fahren
die Harley Davidson , wie Ralph , der eine „Eisenkopfsportster“ , Baujahr 1979 ,
sein Eigen nennt . Eine Harley Davidson E – Glide – Shovel 1340 ist mit ihrer
Erstzulassung 1980 in Deutschland genau so alt wie Besitzerin Antje . Jupp hat
eine BK 350 restauriert , jenes Motorrad mit Zweizylinder – Zweitakt –
Boxermotor und Kardanantrieb , das in den 1959er Jahren in Zschopau hergestellt
wurde . Ach so: Jacky , die Garagenbestie , die aber ein ganz lieber
Mischlingssetter ist , gehört auch zum Trupp . Werner ist der Schutzpatron ,
Jacky das Maskottchen . Zu Himmelfahrt ist meist die erste gemeinsame Ausfahrt
angesetzt , ansonsten treffen sich die Freaks an den Wochenenden in der „17“ ,
die für sie mehr als nur Garage und Werkstatt ist . Sie haben das Dach neu
eingedeckt und die Fassade renoviert , nun stehen Innenarbeiten auf der
Sanitärstrecke an . Für die Helfer gab es unlängst eine Dankeschön – Party . Bei
solchen Gelegenheiten rückt Thomas die tschechische Feldküche vors Haus .
Rotkohl , Klöße und Rehbraten sind das Spezialgericht des Berufskochs . dann
wird auch nicht nur „Tass` Kaff“ getrunken , sondern „Bölkstoff“ gereicht , was
im Werner – Slang Kaffee und Bier heißt .
Die jungen Leute sind im Viertel gut angesehen , Zoff mit den Nachbarn gibt es
nicht .
„Ist ja nicht selbstverständlich“ , meint Ralph . Da müsse man sich für
die Toleranz bedanken.
Und im Sommer , wenn die Tore offen stehen und im Freien
geschraubt wird , findet das zünftige Treiben auch das Interesse der
Vorbeifahrenden , schließlich liegt die „17“ direkt an der Bundesstrasse 87 .
Mal waren es Biker aus Japan , die Halt einlegten und Fotos schossen , mal
Holländer , die auf der Fahrt zum Sachsenring mit defektem Zündkabel am
Almricher Berg liegen blieben . Da leisten die Chopper auch Nothilfe . Selbst
Fahrradfahrern haben sie die Pedalen wieder flott gemacht und beim
Schlauchflicken geholfen .
Naumburger Tageblatt Artikel
12.10.2008
von Hans – Dieter Speck
Fotos
von Nicky Hellfritzsch
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